Ich habe unlängst einmal irgendwo gelesen, dass ein Kind im Laufe seiner ersten Lebensjahre sieben Mal mehr Neins als Jas zu hören bekommt. Daraus könnte man provokativ schließen, zwischen den meisten Eltern und ihren Kindern herrscht eine wahre „Nein-Kultur“. Damit ist die Ausrichtung und die Intention klar: Wir wollen verhindern, anstelle zu ermöglichen und ermächtigen. Aber was steckt dahinter? Ist es wirklich so, dass wir unserer Elternrolle nur dann gerecht werden, wenn wir möglichst viel „unterbinden“?
Hast du schon einmal bewusst an dir und in deinem Familien- oder Lern- und Arbeitsalltag beobachtet, wie oft – und vor allem warum – du NEIN sagst? Ich wage eine weitere Behauptung in den Raum zu stellen: In den allermeisten Fällen sind diese Neins keine echten. Sie werden ausgesprochen, weil man sich gerade nicht wirklich mit dem Thema auseinander setzen will, weil man gerade anderwärtig beschäftigt ist oder weil man denkt, dass es sich gesellschaftlich oder den Konventionen entsprechend so gehört. Und unsere jungen Menschen kennen den Unterschied zwischen einem wirklichen, unumstößlichen Nein und diesen „Nein-Ausreden“ ganz genau. Sie nehmen den inflationären Gebrauch von Nein überhaupt nicht mehr wahr oder ernst, denn sie wissen, sie können diese eigentlich beliebig in zumindest „Jeins“ umwandeln. Damit wird nicht nur die Glaubwürdigkeit der Erwachsenen untergraben, sondern auch die Bindung zwischen den Familienmitgliedern geschwächt.
Als ich eine junge Mutter war, da wurde mir suggeriert, ich wäre nur dann ein guter Elternteil, wenn ich klare Grenzen setze und strenge Neins vermittle. Mir ist das damals extrem schwer gefallen, denn nur zu oft bin ich im Nachhinein drauf gekommen, dass ich diese Neins gar nicht wirklich gemeint hatte. Ich habe begonnen, mein Nein nur noch dann zu verwenden, wenn es wirklich wichtig war, fast schon als letzten Ausweg. Mir wurde bewusst, wie wenig solcher wirklichen Neins es eigentlich gibt. Meine Kinder haben praktisch sofort verstanden, dass diese Neins dann in Stein gemeißelt waren und daher auch kaum je dagegen rebelliert. Ich konnte sie vertreten, logisch argumentieren und ihnen klar verständlich machen, warum diese jetzt absolut notwendig waren.
Bei allem Anderen aber hat dies zu einer Umkehr, einer radikalen Veränderung meiner Haltung geführt: Einer Ja-Kultur auf allen Ebenen! Ich habe erfahren, wie viel mehr Freude und Spaß es macht, sich auf eine gemeinsame Entdeckungsreise zu begeben, was alles möglich ist – MITANANDA. Wie viel friedvoller, bereichernder und verbindender es ist, den Fokus auf das zu legen, was möglich ist und immer wieder gemeinsam kreative Wege zu finden, etwas scheinbar Unmögliches möglich zu machen. Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob ich kategorisch zu allem negativ stehe, oder ob ich in der sozialen Gruppe Lösungen finde, soziales Lernen stärke. Denn: Alles ist möglich – oh, ja!