Brav ist ein großes Reizwort für mich, wahrscheinlich das größte, wenn es in Zusammenhang mit Kindern verwendet wird. Warum? Lasst uns einmal darüber nachdenken, was wir mit „brav“ zum Ausdruck bringen wollen. Wann ist ein Kind „brav“? In der Regel, wenn es das tut, was wir von ihm wollen, wenn es uns nicht zur Last fällt, praktisch unsichtbar wird und unseren Vorstellungen entspricht. Würden wir dieses Wort je für das Verhalten eines Erwachsenen verwenden oder würden wir uns angegriffen fühlen, wenn wir als „brav“ bezeichnet werden würden? Für mich ist brav sein in einem unmittelbaren Zusammenhang stehend mit der Überheblichkeit eines Erwachsenen, es besser zu wissen, leiten zu wollen, nicht gestört zu werden. Damit ist das gelebter Adultismus, also ein Missbrauch meiner Machtposition als Erwachsener. Aber genau das ist eigentlich die Aufgabe unserer Kinder, dass sie uns herausfordern, unsere Grenzen ausdehnen, uns wieder die Unmittelbarkeit, die rohe Authentizität, Begeisterung, Freude und die Kraft aller Emotionen nahezubringen. Uns daran erinnern, was es heißt lebendig zu sein, welches Wunder wir allesamt sind und das Leben täglich ist. Oft werden wir aber gerade davon heftig getriggert, weil uns vermittelt wurde, das wir „zu viel“ sind. Zu laut, zu wild, zu begeistert. Brav zu sein bedeutet, seine Flügel geschnitten zu bekommen, bevor man sie noch richtig ausbreiten konnte, sich anzupassen an eine laue, graue Alltagsrealität, in der es das Leben zu erleiden gilt, anstelle es mit allen Sinnen zu erleben. Ich plädiere dafür, dass wir alle aufhören, danach zu streben, brav zu sein. Denn: „Brave Mädchen (und alle Anderen auch) kommen in den Himmel, böse – oder besser: wilde, neugierige, begeisterte, echte – überall hin.“ Wie siehst du das?