Letztens hab ich ihn wieder gehört, diesen furchtbaren Satz, gesprochen mit lauter, genervter Stimme und klar sichtbarem, gestrecktem Zeigefinger und erhobenen Augenbrauen. Ein Satz, der mich praktisch sofort reduziert auf ein kleines, tränenüberströmtes Bündel aus Verzweiflung und Angst. Denn ich habe ihn auch zu hören bekommen, wie so viele von uns, als Kind. Ausgesprochen von meiner gestressten, unter Zeitdruck stehenden Mutter auf dem Weg zum Arzttermin. Ganz bestimmt hat sie es nicht böse gemeint, war einfach mit den Nerven am Ende von meiner Trödelei – ich kann das heute als Mama von vier jungen Menschen ganz leicht nachvollziehen. Und doch habe ich mich gehütet davor, diesen Satz jemals zu meinen eigenen Kinder zu sagen. Weil ich mich nur zu gut daran erinnern kann, wie ich mich damals gefühlt habe, als meine Mutter daraufhin wütend die Tür zugeschlagen hat und in Richtung Garage gegangen ist, um das Auto zu holen. Sie wäre in drei Minuten zurück gewesen, aber ich als damaliges kleines Mädchen habe gedacht, sie hat mich tatsächlich verlassen, so wie sie es angedroht hat. Nie werde ich vergessen, wie ich fast auf allen Vieren stolpernd und mit triefender Nase keuchend die Stufen zu den Garagen hochgeklettert bin, immer wieder verzweifelt „Mama, sei nicht böse, ich bin ja eh ganz lieb.“ schluchzend. Es hat sich angefühlt wie das Ende meiner Welt.
Ja, Kinder haben ein völlig anderes Zeitgefühl als wir Erwachsenen, sie haben andere Prioritäten und können Konsequenzen nicht abschätzen. All das ist auch nicht ihre Aufgabe, sondern unsere. Wir sind gefragt, genügend Zeitpolster einzuplanen, rechtzeitig mit den Vorbereitungen auf wichtige Termine zu beginnen und die jungen Menschen immer wieder auch vorab darüber zu informieren, was später passieren wird und zeitgerechte Erinnerungen auszusprechen. Ob wir nun dafür einen Zeitplan gut sichtbar an die Kühlschranktür pinnen, Wochenbesprechungen und Familienkonferenzen machen, auf der großen Küchenuhr farblich kennzeichnen, wann wir los müssen oder uns Wecker stellen, die uns erinnern – kreative, gewaltfreie und oft auch unterhaltsame Möglichkeiten gibt es viele.
Alles ist besser, als mit Liebesentzug zu drohen, denn eine kleine Kinderseele bekommt schnell einen Knacks weg. Für den Rest des Daseins reißt dann dieser Sprung immer weiter ein, man quält mit solch unbedachten und weithin anerkannten „Erziehungssprüchen“ wahrscheinlich auch seine eigenen Kinder – oder aber man schaut sich diese „schwarze Pädagogik“ bewusst an und transformiert sie. Erst dann kann Heilung stattfinden und wir geben unsere alten Muster nicht mehr unbewusst weiter.
Denn lasst uns ehrlich sein: Hat eine solche Drohung überhaupt je das bewirkt, was wir eigentlich erreichen wollten oder haben diese und ähnliche verletzende Aussagen nur unserer Verbindung zu unserem Kind geschadet und damit schlussendlich immer auch uns selbst?